Folgen von Traumatisierungen

Traumafolgen

Die unmittelbare Reaktion auf ein traumatisches Ereignis findet im Körper und in der Psyche statt. Erst hinterher wird die Erfahrung mental verarbeitet und bewertet, wenn überhaupt.

Bei den Folgestörungen muss ebenso zwischen kurz- mittel- und langfristigen Folgen unterschieden werden.

Körperlich:

Erst einmal reagiert der Organismus mit einem Notfallprogramm, um das Überleben zu gewährleisten. Dabei werden Gehirnareale, die für die kognitive Verarbeitung sorgen, umgangen, weil sie zu langsam und schwerfällig wären. Statt dessen findet eine unmittelbare, direkte, instinktive Reaktion statt. Diese besteht darin, den Körper darauf vorzubereiten, sich entweder in einem Kampf selbst zu verteidigen, oder die Flucht zu ermöglichen („fight or flight“). Für beides werden physiologische Veränderungen vorgenommen und Kräfte mobilisiert. Das heißt u.a., das Herz schlägt schneller, die Muskeln kontrahieren, das Nervensystem wird mobilisiert, der Sympatikus übernimmt. Im Idealfall wird diese Energie des Körpers genutzt oder nach dem Ereignis „abgeschüttelt“, wie Tiere es tun. Ist ein Kampf oder Flucht nicht möglich, erfolgt ein „Totstellreflex“, eine innere Erstarrung („freeze“). Das ist die letzte Rettung zum Überleben des Organismus, oder eine Vorbereitung auf den Tod. Die meisten Trauma-Opfer verbleiben mit den mobilisierten Energien im Körper, was meist zu einer chronischen Übererregung im Nervensystem führt, mit den Folgen von hoher Grundanspannung und Gereiztheit, emotionalen oder aggressiven Ausbrüchen oder Erschöpfung, Passivität, Gleichgültigkeit bis zur Apathie und allen Arten von psychosomatischen Symptomen, die dadurch hervorgerufen werden.

 

Psychisch:

Die existenzielle Bedrohung oder Mangelerfahrung durch das Trauma erzeugt bestimmte Emotionen wie Angst, Trauer, Wut etc. und zieht Sekundäremotionen wie Einsamkeit, tiefe Verunsicherung, niedrigen Selbstwert, Bedrohungsgefühle, Scham und Schuldgefühle nach sich, die aber meistens nicht ausgedrückt werden können und deshalb ins Unbewusste verdrängt werden. Dort bleiben sie weiterhin aktiv und „suchen“ sich Gelegenheiten, um ausgedrückt werden zu können. Das ist auch der Grund dafür, dass sich bestimmte Muster so hartnäckig im Erwachsenenalter wiederholen (z.B. als Kinder misshandelte Frauen sich gewalttätige Partner suchen) oder frühere Opfer zu Tätern werden. Das oder die traumatischen Erfahrungen bleiben tief verankert, auch oder gerade dann, wenn keine bewusste Erinnerung mehr an das Ereignis selbst besteht, weil es zu früh geschehen ist oder verdrängt wurde!

 

Geistig:

Kognitiv werden bestimmte unbewusste Grundüberzeugungen gebildet, die spätere Erfahrungen tief prägen (z.B. „Nichts ist sicher in dieser Welt“, „Man muss immer kämpfen, sonst wird man selbst niedergemacht“, „Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden“, „Alle Männer sind Schweine“ etc.). Die Erstarrung ist also nicht nur körperlich, sondern auch psychisch und mental. Daraus resultieren verschiedene Verhaltensstörungen, Persönlichkeitsstörungen und psychische Probleme.

Hinzu kommt, das durch bestimmte Auslösereize, so genannte Trigger, das verdrängte Trauma mit allen nicht ausgedrückten Emotionen reaktiviert werden kann. Diese Trigger können in Sinnesreizen bestehen, die eine Erinnerung an das (häufig nicht einmal bewusst erinnerte) Trauma auslösen, z.B. ein bestimmter Geruch, ein Geräusch, eine Berührung etc., aber auch durch Gespräche, Filme, Bücher oder auch Konflikte, die plötzlich verdrängte Erinnerungen und Emotionen wachrufen. Meist stehen die Reaktionen in keinem Verhältnis zu dem auslösenden Reiz und sind nicht nur für andere, sondern oft auch für die traumatisierte Person selbst unverständlich. Das liegt daran, das hierbei unbewusste, automatisch ablaufende Muster aktiviert werden, die die bewusste Selbststeuerung und Selbstkontrolle des Menschen völlig umgehen. Das ablaufende Programm ist ein Schutzreflex, das in verschiedenen Variationen einen der drei Überlebensstrategien verfolgt: Kampf, Flucht oder Totstellen.

Es ist dabei wichtig zu sehen und anzuerkennen, dass all diese Verhaltensweisen, wie inadäquat oder sogar destruktiv sie erscheinen mögen, Überbleibsel von Schutzstrategien sind, die einstmals das psychische und physische Überleben gewährleistet haben!

Arten und Formen von Traumafolgestörungen

Akute Folgen eines erlittenen Traumas sind als sog. Schock- und Belastungsreaktionen oder „Nervenzusammenbruch“ bekannt.

Dazu gehören:

  • Gefühl des Betäubtseins, Unwirklichkeit, Dissoziation, Benommenheit

  • Angst und Bedrohungsgefühle

  • Weinkrämpfe, starke Trauer

  • Unruhe oder Apathie und Rückzug

  • vegetative Symptome wie Zittern, Schwitzen (kalter Schweiß), Herzrasen, Blässe oder Erröten

 

Mittelfristige Folgen zeigen sich oft in den typischen Symptomen der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die meist erst mit einer zeitlichen Verzögerung von einigen Wochen bis Monaten nach dem traumatischen Erlebnis auftritt:

  • Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Flashbacks), Träumen oder Albträumen

  • andauerndes Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Apathie und Freudlosigkeit, Dissoziation

  • Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten

  • vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörungen

  • Angstzustände und Depressionen bis zur Suizidalität

  • Aggressivität und Unruhe

 

Gerade bei schweren Traumatisierungen mit unmittelbarer Lebensgefahr (Überlebende von Krieg, Unfällen, Vergewaltigungen, Naturkatastrophen o.ä. zeigen sich die Folgen oft erst nach einer gewissen Zeit, wenn scheinbar wieder „alles in Ordnung“ ist, da vorher alle Emotionen und Reaktionen ausgeblendet und unterdrückt werden, um das Überleben und die Rettung zu ermöglichen!

 

Weitere Trauma-Reaktionen und Symptome können sein:

  • Angst vor Nähe, Berührungen, Abhängigkeiten, oder anklammerndes Verhalten, Verlassenheitsgefühle, Verlustängste

  • aggressives Verhalten bzw. Wutausbrüche

  • Rückzug, Passivität, Verschlossenheit

  • Gefühl der inneren Leere und Sinnlosigkeit

  • Scham- und Schuldgefühle

  • ständige Anspannung und Unruhe, Hyperaktivität, Unfähigkeit zur Entspannung

  • diverse körperliche und psychosomatische Symptome

 

Es ist wichtig klar zu erkennen, das Traumafolgestörungen weitaus mehr sind als das, was in der klinischen Psychologie als Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) anerkannt wird!

 

Vor allem in der Kindheit erlittene Trauma äußern sich eher in diffusen psychischen oder psychosomatischen Symptomen und Störungen, die nicht ohne weiteres auf das (häufig nicht erinnerte) Trauma zurückzuführen sind bzw. nicht als solche erkannt werden. Häufig wird ein altes unverarbeitetes Trauma auch durch scheinbar unbedeutende oder nicht so gravierende Ereignisse reaktiviert (z.B. durch eine Trennung, die ein Verlassenheitstrauma wachruft).

Es ist auch wichtig, zwischen einer PTBS und einer Anpassungsstörung zu unterscheiden. Letztere ähnelt sich in den Symptomen, ist jedoch nicht so gravierend und lang anhaltend, sondern ist eher ein erschwerter Umgang und verzögerte Verarbeitung eines einschneidenden Lebensereignis (z.B. Tod oder Trennung des Partners oder der Eltern, Arbeitsplatzverlust, Verrentung, schwere Krankheit etc.). Wir mit diesem Ereignissen bzw. einer Anpassungsstörung nicht angemessen umgegangen, kann sich daraus eine PTBS entwickeln.